Gratianus de Clusio (ca. 1080-1158)
Decretum.
Mit den Kommentaren von Bartholomaeus Brixiensis.
Nicolas Jenson, Venedig, 1477
Vorliegend die insgesamt siebte Ausgabe dieses Klassikers des Kanonischen Rechts, welches erstmalig 1471 bei Heinrich Eggestein in Strassburg erschien (danach Eggestein 1472; Schöffer 1472; Jenson 1474; Richel 1476, Lauer 1476). Insgesamt erschienen von diesem Werk stolze 43 Inkunabelausgaben.
Für das kanonische Recht war das Hauptwerk des Kamaldulensermönchs Gratianus de Cluso von fundamentaler Bedeutung. Es war die erste große Sammlung von juristischen Büchern des Mittelalters, die die Jurisdiktion des römischen Rechts mit den aus der Bibel abgeleiteten Gesetzen, aber auch den Synodalbeschlüssen und Konzilsakten verband und übersichtlich zusammenstellte. Hinzu kamen die sogenannten „Decretales“, die Papstbriefe als konkrete Rechtsanweisungen. Gratians gewaltiges, umfangreiches Werk bildete dann den Auftakt, den ersten Teil der sechs Rechtsbücher, die im „Corpus Iuris Canonici“ zusammengefasst wurden und die Grundlage des kanonischen Rechts der folgenden Jahrhunderte bildete. Der in Bologna lehrende Gratian begründete mit seinem Werk den Lehrstuhl für Kirchengeschichte an der Universität, worauf sich Bologna zur wichtigsten europäischen Rechtsschule entwickelte.
Der in größerer Type gesetzte Text in zwei Kolumnen wird von einem kleinen gesetzten Kommentar umflossen, ein Usus der sich auf alle Rechtsschriften, Handschriften wie Drucke als charakteristisch und praktisch herausgestellt hatte und sich auch hier in Jensons Ausgabe manifestiert.
Nicolas Jenson (1420 in Frankreich – 1480 Venedig) war ein französischer Stempelschneider, Typograf, Kalligraf, Drucker, Verleger und Buchhändler. Jenson war anfangs Maler, arbeitete bei der königlich-französische Münze Monnaie de France in Paris, möglicherweise als Graveur, später war er Münzmeister der Stadt Tours. Er kam im Herbst 1458 mit einem Dekret des französischen Königs Karl VII. nach Mainz, um bei Johannes Gutenberg zu lernen und so dessen Erfindungen auch für Frankreich nutzbar zu machen. Ab 1468, dem Todesjahr Johannes Gutenbergs, war Jenson in Venedig und arbeitete zuerst für die Gebrüder Johannes und Wendelin von Speyer, die er aus seiner Mainzer Zeit kannte. Dort entstand 1470 als erste eine Antiqua-Schrift, die für den Druck von Ciceros Epistolae ad Brutum (GW 6859) verwendet wurde. 1471 folgten eine griechische, nach 1473 insgesamt fünf rundgotische Schriften bzw. Gotico-Antiquas. Neben einer Druckerei betrieb er ab 1475 eine Buchhandelsgesellschaft. Hier wurde unter anderem im Jahre 1476 De proprietate latini sremonis von Nonius Marcellus verlegt. Als Nicolas Jenson 1480 in Venedig starb, war er ein wohlhabender, angesehener Mann und der bedeutendste Drucker-Verleger Venedigs in der Zeit vor Aldus Manutius. In der venezianischen Dekade entstanden insgesamt ca. 100 Druckwerke.
Beeindruckender Scholiendruck in gotischer Type. Imposanter Schwarz/Rot-Druck. Zweispaltig, eingebettet in umlaufenden Kommentaren (Interlinearglossen). 64 bzw. 72 Zeilen. Durchgängig in Rot und Blau rubriziert sowie mit eingemalten Alineazeichen. Am Anfang eine große vegetabile Initiale in Rot und Grün auf Goldgrund (12 x 5 cm), mit in Goldpunkten endenden Blattausläufern, das Binnenfeld gefüllt mit einer Blüte in Blau auf gepunztem beigefarbenen Grund. Das Spatium über dem Textbeginn nicht ausgefüllt. Ferner im Werk 27 große zehnzeilige handgemalte Initialen alternierend in rot und blau und größtenteils mit Federwerksornamenten in Lila und Rot (6 x 5 cm) sowie Tausende große und kleine handgemalte Lombarden in Rot und Blau (1-4-zeilig).
Blattgröße: 42 x 28 cm; Satzspiegel: 36 x 22 cm.
407 (statt 411) Blatt. Ohne das leere Blatt a1 und das häufig fehlende angehängte letzte Blatt pp11 mit Registrum sowie die in sauberer zeitgenössischer Handschrift ersetzten Bllatt nn5/6), welche wohl bereits beim Druck fehlten und vom Drucker in passender Handschrift ergänzt wurden.
Lagenformel: a10-1; b-r10; s12; t-z10; #10; #10; #10; aabb10; cc6; dd8; ee10; ff8; gg-kk10; llLL8; mm-oo10; pp10+1-1.
Zeitgenössischer, originaler Leder-/Holzdekoreinband über schweren Holzdeckeln. Rückenleder original. Die Deckel wurden wohl im 17./18. Jhd. mit Holzdekorpapier bezogen. Dieses Holzdekorpapier war typisch für diese Zeit, ist aber kaum noch anzutreffen. Gebunden auf vier echten Bünden. Rückenschild aus dem 19. Jahrhundert mit falscher Datierung „1478“. Guter Zustand. Buchblock und Bindung fest und stabil. Deckel berieben, bekratzt und bestossen. Rücken alt restauriert, hierbei mit neuem Leder hinterlegt und stabilisiert. Vorderdeckel war gebrochen und wurde offensichtlich bei der erwähnten Restaurierung geleimt. Innengelenke verstärkt. Einige wenige kleine Wurmlöchlein.
Großfolio: 44,5 x 30 x 11 cm (HxBxD)
Sehr guter und weitestgehend wohlerhaltener Originalzustand. Festes Büttenpapier, kräftiger Prägedruck. Sehr sauberes Exemplar, nur wenige Blatt mit einigen Flecken. Vorsatzblatt sowie Blatt a2 an Falzen neu eingehangen. Blatt a2 mit Läsuren, alt hinterlegter Fehlstelle im Außenrand und alt restauriertem Einriss. Blatt gg4 an unterer Ecke mit roter Druckerfarbe befleckt (Das ist ein seltenes Zeitdokument). Blätter ry3 und dd4 mit kleinem Einriss im unteren Rand.
Literatur: ISTC ig00366000; GW 11357; BSB-Ink G-258; Hain-Copinger 7890; BMC V, 177; Goff G 366; IBP 2444; Bod-inc G-182; Sheppard 3281; Proctor 4101.
Bibliotheken: Lt. ISTC Exemplare weltweit in nur 73 Bibliotheken vorhanden, etliche davon unvollständig.
Hiermit bestätigen wir Originalität sowie einwandfreie Herkunft der vorliegenden Inkunabel. Das Objekt ist zum Zeitpunkt des Verkaufs frei von Rechten Dritter und wurde mit dem Lost-Art-Register abgeglichen. Für die Lieferung außerhalb der EU ist eine Ausfuhrgenehmigung der Kulturbehörden erforderlich. Diese wird von uns nach Eingang des Kaufpreises beantragt und dauert ca. 14 Tage. Für die Verbringung in EU-Länder ist aufgrund der festgelegten Wertegrenzen keine Ausfuhrgenehmigung erforderlich.
Nicolas Jenson, Venedig, 1477
Voluminöse und prachtvoll gedruckte frühe Ausgabe der Dekretalien von Gratianus mit der Glossa ordinaria von Johannes Teutonicus in der Bearbeitung von Bartholomaeus Brixiensis im spätgotischen Originaleinband.
Reich illuminierte Handschrift auf Jungfernpergament. Diese Handschrift gehört zu den sogenannten „Perlbibeln“, den kleinsten Vollbibeln überhaupt. Dieser Handschriftentyp wurde im frühen 13. Jahrhundert im Umkreis der Pariser Universität entwickelt, um den neuen Bedürfnissen der sich zu dieser Zeit herausbildenden Metropolen zu entsprechen. Insbesondere die gewachsenen Anforderungen an Mobilität ließen die bis dahin in den Abmessungen eher voluminösen Bibeln auf ein Kleinstformat reduzieren. Sie passte somit unter die Kutten der Mönche, die das Wort Gottes in den Metropolen verbreiteten. Daher wird dieser Bibeltypus auch „Taschenbibel“ genannt.
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