"LIEBER LEBEN ALS REPUTATION"

Geheimdienstbericht aus dem 30-jährigen Krieg

AUTOR

Augsburger Ratskonsulent (wahrscheinlich Dr. Johann Matthias Lauber)

TITEL

Relation der Ursachen und Abordnung nach Memmingen vom 1. Mai biß 6. August 1635.

ENTSTEHUNG

Augsburg, August, 1635

BESCHREIBUNG

Handschriftlicher Bericht über eine Geheimmission eines Augsburger Diplomaten im Dreißigjährigen Krieg. Deutsche Handschrift auf Papier. Höchstbedeutende und bislang unbekannte Quelle zur Geschichte des Dreißigjährigen Kriegs. Die Handschrift umfasst den Bericht eines Diplomaten, vermutlich eines Augsburger Ratskonsulenten, an den Generalkommandanten von Bayern und Gouverneur von Augsburg, Otto Heinrich Fugger (1592-1644).

Unmittelbar nach der Übergabe der Stadt Augsburg an die Kaiserlichen Truppen, infolge der verheerenden Belagerung im Hungerwinter 1634/35, war es die Aufgabe des Abgesandten, den Rat der Stadt Memmingen, mit Verweis auf das „Exempel in der Statt Augspurg“ zur Übergabe an den Kaiser zu bewegen.

Der Verfasser schildert zunächst sein Treffen mit dem Augsburger Stadtkommandanten Caspar von Schnetter, der ihn mit einem Brief des Kaiser an den Oberbefehlshaber des kaiserlichen Heeres, Generalleutnant Matthias Gallas (1588-1647) vertraut machte, in dem sich dieser über die schrecklichen Zustand Augsburgs („in welch desolvirten Zustand die Statt Augspurg anfangs were befunden worden“) entsetzt zeigte und Gallas auftrug, dies als „Exempel“ zu nutzen, um andere Städte zum Übertritt ins kaiserliche Lager zu überzeugen („derowegen andrer Stand und Stätt durch offertas annemlicher conditiones zu salvieren“).

Von Fugger und Schnetter mit dieser Mission betraut, besprach sich der Verfasser noch mit dem kaiserlichen Oberkommissar Valentin Lang und begab sich nach Memmingen, wo er einen Bauern verdingte, der ein chiffriertes Schreiben an den Stadtrat überbringen sollte, jedoch von den Schweden entdeckt und übel zugerichtet wurde („…habe ich einen armen Bauersmann Schreiben Ew. Excellenz die generalia status per zifres ohne uberschrift zu berichten aufgegeben, der ist aber vor kundschafft vor dem thor ihm die Schreiben abgenommen, ins Stockhauß verführt und übel tractirt worden.“).

Der Verfasser wurde daraufhin vom Memminger Stadtkommandanten N. Petipeski („deß Wallenstein. Regimentsmaior, ein Böhmischer von Adel“) verhört und gefangengesetzt und gab schließlich, nach erfolglosen Unwissenheitsbeteuerungen, den Zahlencode zur Entschlüsselung der Geheimschreiben frei („Endlich alß nichts verfangen wollen, und bey Tag und Nacht mit vier Mußquetierer gleich an dem Leib verwacht worden, hab ich die Zifres solvirt“).

In den Folgewochen wurde er nach schriftlichen Anweisungen des schwedischen Generalleutnants Lorenz von Hofkirchen immer wieder neu verhört, u.a. anhand eines Fragenkatalogs, der 40 Fragen umfasst, die der Verfasser minutiös wiedergibt. Die Beantwortung der Fragen, u.a. ob er bereits zuvor, als er im Dienste des schwedischen Generals Horn gestanden habe, gegen die Schweden und Augsburger Protestanten konspiriert habe und ob sich weitere Spitzel bzw. Geheimdiplomaten im schwedischen Heer befänden, fiel jedoch nicht zur Zufriedenheit Hofkirchens aus, der ihm Folter androhte („durch den Scharpfrichter so lang peinlich zu fragen, biß dass ich entweder bekenet, oder der Leib in Stücke zerrißen wer“).

Der Diplomat wollte indes nicht nachgeben („resolvirt eher zu sterben, als weiters zu cedirn“) und es gelang es ihm, durch geschicktes Taktieren, weitere Wochen zu gewinnen, u.a. durch arrangierte Geheimtreffen mit dem Kommandanten Petipeski, dessen Misstrauen gegen General Hofkirchen er schürte. Hofkirchen habe Augsburg im Stich gelassen, sich gegenüber den Kommandanten Winckel und Ermes unehrenhaft verhalten und plane, von den Schweden zu den Franzosen überzulaufen („auß desperation suche die Sueden zu lassen und Franckreich zuzuziehen“).

In der Folge kam es zu einem schwere Zerwürfnis zwischen den Soldaten und den Führungsoffizieren, der noch verschärft wurde, nachdem der Memminger Rat ohne vorherige Absprache mit den Schweden im Juli mit dem Kaiser Frieden schloss. Dramatische Szenen scheinen sich daraufhin in der Garnison zu Memmingen abgespielt zu haben: Die Offiziere wollten nicht ohne entsprechende Anweisungen der schwedischen Generalität die Waffen strecken („eher das Leben alß die reputation“), während die Landsknechte die Garnison aufgeben wollten („Wir zu Memmingen wollen wider das Reich nicht stehen, sondern begehren unsern Abschied“).

Verhandlungen mit dem kaiserlichen Oberst August Vitzthum von Eckstädt brachten schließlich eine Einigung: Die Schweden zogen aus Memmingen ab, und unser Diplomat erlangte mit anderen Gefangenen die „langerhoffte Libertet“.

Vorliegender Bericht bietet nicht nur eine Schilderung der Gefangenschaft bzw. Verhandlungen des Verfassers zu Memmingen, sondern informiert auch über die Hintergründe die zur Übergabe Memmingens führten und gibt interessante Detailinformationen über lokale und regionale Befehlshaber, aber auch zu den großen Akteuren des Dreißigjährigen Krieges wie Gallas, Bernhard von Weimar, Banér oder Hofkirchen.

An diversen Stellen wird eindrucksvoll vermittelt, wie sehr Augsburg im Belagerungswinter 1634/35 gelitten hat und wie nachdrücklich sich dies im Gedächtnis der Zeitgenossen, die Augsburg als abschreckendes „Exempel“, die dort stattgefundenen „Extremiteten“ als Mahnmal wahrnahmen. Am Hunger starben damals täglich Hunderte Menschen und verfielen gar zu Kannibalismus: „…alwan anfangs die Hund die Menschen, darnach die Menschen die Hund, endlich getauffte Christen, ja Vatter, Mutter und Kinder einander auf die vom Hunger außgehende Seel, den Leib zu schlachten gewartet…“.

Damals verlor Augsburg seinen Status als Weltstadt, die auf ein Drittel dezimierte Einwohnerzahl erreichte erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wieder ihren früheren Stand.

Ob der vorliegende Bericht in dieser Form weitergereicht wurde, ist unklar, da er, obwohl sauber geschrieben, auf den letzten beiden Blättern umfangreiche Textergänzungen und -korrekturen aufweist. Die zweimalige Faltung des Berichts lässt jedoch vermuten, dass der Bericht als Briefbeilage verschickt wurde. Vielleichte mangelte es dem Verfasser an Zeit für eine erneute Reinschrift. Die Handschrift ist in sich komplett, scheint aber ehemals Teil eines größeren Dossiers gewesen zu sein, wie eine alte Foliierung in Rotstift aus dem 17. oder 18. Jh. (f. 15-20) vermuten lässt.

Während der Empfänger zwar nicht namentlich benannt, aber gleich eingangs als Gouverneur von Augsburg kenntlich wird, ist eine Identifizierung des Verfassers nicht ganz so einfach, dürfte aber anhand der im Text gegebenen Information in tiefergehenden Nachforschungen möglich sein. Er war sicher Jurist (Verwendung lateinischer Fachtermini), in Augsburg eingesessen und einflussreich und in Memmingen wohlbekannt, stand zunächst in Diensten Horns und danach in Diensten Fuggers, war vermutlich am Augsburger Accord beteiligt und war an der Seite der Ratskonsulenten Dr. Zacharias Stenglin (1604-1674) und Dr. Georg Hieronymus Marstaller (1602-1637) an Geheimverhandlungen mit dem Pfleger von Kirchheim, Dr. Georg Mayr beteiligt. Der Verfasser war vermutlich selbst Augsburger Ratskonsulent, vielleicht Dr. Johann Matthias Lauber, der später für Kaufbeuren an den Friedensverhandlungen in Münster und Osnabrück teilnahm.

KOLLATION

12 beschriebene Seiten auf 6 Blatt (drei Doppelblatt).

ABMESSUNGEN

Blatt: 32 x 20,5 cm. Schriftspiegel ca. 24 x 15 cm, variiert.

ZUSTAND

Guter Zustand mit Gebrauchsspuren. Papier gleichmäßig gebräunt und partiell etwas fingerfleckig. Außenrändern mit geringfügigen Läsuren und Knicken. Falt- und Knickspuren.

TRANSKRIPT

Eine komplette Transkription wird nach dem Kauf auf Wunsch geliefert.

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Preis
4.200 €
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Tilo Hofmann
Artikelnummer
R100
Der Kampf um Memmingen und die Hungersnot

Grausamer Tatsachenbericht eines unter Folter gestehenden Agenten.

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Highlight

Wahrlich ein unglaublicher Schatz!

Das Vierte gedruckte Buch:
Schöffers Durandus von 1459

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